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Militärmusik
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Wladimirs Welt "Nie etwas ausdenken, sondern dem Leben vertrauen" -- das war der erste Leitsatz des Wladimir Kaminer, als er uns mit dem herzerfrischend komischen Debütband Russendisko in den Alltag seines weit verzweigten Berliner Freundeskreises entführte. Was aber, so mag sich Kaminer gefragt haben, sind elf Jahre Leben im Nachwende-Berlin gegen 23 in der Sowjetunion? Kein Wunder also, wenn der 1967 -- im Jahr der Jubelparaden zum 50. Jahrestag der großen Sozialistischen Oktoberrevolution -- Geborene erneut das tut, was er am besten kann: Kaminer erzählt sein Leben als Schelmengeschichte eines anarchischen Taugenichts, als moderne Schwejkjade. Dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion manchmal sehr dünn ist, muss der Dampfplauderer schon als ABC-Schütze erfahren -- als "Politinformator" seiner Klasse erfindet er mit Hilfe vergilbter Prawda-Exemplare haarsträubende Tagesnachrichten und darf, als die Sache auffliegt, nicht in den Jugendverband Komsomol eintreten. Kein schlechter Start für ein Leben als Outcast, doch es kommt selbstredend noch besser: Ob als Praktikant am Moskauer Majakowski-Theater, als Begleiter eines Rindertransports ins ferne Samarkand, als Parkwächter oder als Organisator von Undergroundkonzerten in winzigen Privatwohnungen -- stets ist Wladimir Sand im Getriebe der sowjetischen Volkswirtschaft -- und den wegen ihrer stets matschbekleckerten hellen Sakkos als "Birkenmänner" verspotteten KGB-Praktikanten der Abteilung "Jugendverfolgung" ein Dorn im Auge. Dass ein Mathias Rust mit seiner Cessna auf dem Roten Platz landen konnte, verwundert heute niemanden mehr -- natürlich ist es Wladimir, der zu dieser Zeit seinen Wehrdienst in einer Moskauer Luftabwehr-Einheit versieht (und nach dem Rust-Fiasko immerhin zum "stellvertretenden Vergnügungsorganisator" befördert wird). So zeigt uns das Kaminersche Kuriositätenkabinett gleichsam im Zeitraffer und von unten den Zusammenbruch des sowjetischen Riesenreichs. Das "harte sozialistische Ei, dass seit Jahrzehnten im kochenden Wasser des kalten Krieges vor sich hin gebrodelt hatte" bekommt zunehmend Risse; Gorbatschows Perestrojka beschert dem Land am Ende zwei neue Spielzeuge: Business für die Väter, Freiheit für die Söhne. Am Tag des Abschieds von der Heimat, das Ticket nach Berlin in der Tasche, bietet sich unserem Helden in der Moskauer Bahnhofshalle ein Bild mit Symbolcharakter: Lenin-Statuen aus Bronze, Marx-Köpfe in Gips, weder bestellt noch abgeholt. "Keiner kümmerte sich um die Denkmäler, niemand wollte sie haben. Zusammen stellten sie ein neues Monument dar: Revolutionäre auf Reisen. Versteinert vor Wut." Wahrscheinlich muss man aus Bronze oder Gips sein, um dem Charme des tolldreisten Geschichtenerzählers Kaminer nicht zu erliegen. Einen doppelten Wodka Putin für den Autor, bitte! Auf die Gesundheit! Und auf das Leben. --Niklas Feldtkamp
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